Der Dritte auf der Insel
Geschrieben von Jörg am .
Tobias steht vor einer schwierigen Entscheidung: Vertrauen oder Vorsicht? Eine Begegnung mit Theresa bringt ihn an seine Grenzen. Was wird er tun?
“Tobias, was für ein Zufall!”
Ich erkenne ihre Stimme sofort. Und ich schließe kurz die Augen. Am liebsten würde ich weglaufen. “Mist”, denke ich. Gleichzeitig spüre ich ein Grummeln im Magen. Kommt das von ihr oder von meinem schlechten Gewissen?
Sie klingt genauso fröhlich wie schon damals im Lauftreff. Und wie bei all den anderen Begegnungen, die wir seitdem hatten. Aber noch bevor ich mich umdrehe, weiß ich, dass mir ihr Lächeln aufgesetzt vorkommen wird.
Auch deswegen schäme ich mich ein bisschen.
Mit ein bisschen Überwindung kann ich ihre Umarmung erwidern. Mühsam lächele ich sie an: “Hey, Theresa, was machst du denn hier?”
“Heuchler!”, denke ich. “Als wenn dich das interessiert. Und als wenn du dich freust! Dabei weißt du, was gleich passiert. Und am liebsten wärst du jetzt nicht hier…”
Im Hintergrund arbeitet mein Verstand bereits auf Hochtouren, wie ich diesmal rauskomme aus der Geschichte. Denn es ist die gleiche wie schon vor zwei Monaten. Und vor einem halben Jahr. Und damals beim Lauftreff, als schließlich keiner mehr mit ihr laufen wollte. Was sich ändert, sind nur die Details.
Ich seufze.
“Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll”, sagt sie und ihre Stimme wird leiser.
Sie braucht zweitausend Euro für die Kaution. Der neue Vermieter will Vorkasse, keine Ratenzahlung, keine Ausnahmen. Mein Verstand springt sofort an wie ein gut geölter Motor: Miete, Strom, Rücklagen - die Zahlen rasen durch meinen Kopf wie Herbstblätter im Sturm.
“Es ist wirklich nur vorĂĽbergehend”, sagt Theresa leise, aber die Erfahrung in mir schreit: “Schwarzes Loch! Lass dich nicht wieder reinziehen!”
Wir stehen zwischen eiligen Passanten wie auf einer einsamen Insel. Mein Bauch schlägt Purzelbäume zwischen “Nein!” und “Ja!”, während mein Verstand wie ein ĂĽberhitzter Computer alle Szenarien durchrechnet: die nie zurĂĽckgezahlten Beträge, die geplatzten Versprechungen, die immer neuen Ausreden.
Die Gleichung geht nicht auf - ist nie aufgegangen.
“Theresa, das tut mir leid.”
Die Worte klingen falsch in meinen eigenen Ohren.
Was tut mir eigentlich leid? Dass ich meinem Verstand mehr vertraue als ihr? Dass ich hier stehe und nach einer Lösung suche, die ich gar nicht finden kann?
Und dann macht es plötzlich klick in meinem Kopf. Die hektische Betriebsamkeit meiner Gedanken kommt zum Stillstand, wie ein Karussell, das langsam ausläuft. Meine verkrampften Schultern entspannen sich und mit einem Mal weiß ich es: Die ganze Zeit, während ich mich im Kreis meiner Gedanken drehe, steht Jesus neben uns und wartet.
Nicht darauf, dass ich die Lösung finde. Nein, das ist lächerlich. Er wartet, dass ich endlich zu Ihm komme.
Mit der richtigen Frage.
Nicht, ob ich helfen soll. Denn das ist klar. Hier geht es um meinen Nächsten. Sondern wie. Und die Antwort auf diese Frage kann nur Er geben.
Ich schaue auf und habe das Gefühl, Theresa zum ersten Mal richtig zu sehen. Ein Mensch in seiner Not. Wo sie auch herkommt…
Die Passanten strömen weiterhin an uns vorbei. Aber es hat sich etwas geändert: Die Einsamkeit ist weg. Auf unserer kleinen Insel sind wir jetzt zu dritt.
Waren wir die ganze Zeit.
Es tut mir wirklich leid. All dieses Elend und ich denke an Jesus, der sich immer anrĂĽhren lieĂź und mit uns weint.
“Komm, lass uns erstmal hinsetzen. Lust auf einen Kaffee?”