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Die Schätze meines Vaters

Zwischen Münzen und Büchern: Martin wickelt das Vermächtnis seines Vaters ab und findet eine unerwartete Botschaft. Eine Erzählung voller Tiefe und Emotion.

Martin beobachtet den Museumskurator, der ehrfürchtig die goldene Münze gegen das Licht hält.

“Ein Exemplar von außergewöhnlicher Qualität”, murmelt der Mann. “Und die Provenienz - makellos dokumentiert. Ihr Vater war ein wahrer Kenner.” Durch das Fenster fällt Morgenlicht auf die Glasvitrinen. Hunderte von Münzen glänzen darin wie kleine Sonnen.

“Bedenken Sie”, fährt der Kurator fort, “jede dieser Münzen hat Jahrhunderte überdauert. Kriege, Revolutionen, ganze Epochen…” Er stockt, als sein Blick auf den leeren Schreibtischstuhl fiel.

Martin nickt mechanisch.

Er erinnert sich noch genau an den Geruch von Lederpolitur und Staub, wenn er als Kind das Arbeitszimmer betreten hatte. An das rhythmische Klicken, wenn sein Vater die Münzen zählte. An die Stimme: “Nicht anfassen, mein Sohn. Diese hier ist mehr wert als dein Taschengeld für ein ganzes Jahr.”

Die Büchersammlung ist als nächstes dran. Der Professor von der Universitätsbibliothek streicht ehrfürchtig über die Ledereinbände. Sein Finger folgt den Goldbuchstaben auf den Rücken: Aristoteles, Kant, Heidegger. “Eine beeindruckende Sammlung”, sagt er leise. “Ihr Vater muss ein Leben lang gesucht haben.”

“Gesucht”, denkt Martin. Das Wort hallt in ihm nach. Er sieht seinen Vater vor sich, wie er in den letzten Wochen seines Lebens am Fenster gesessen hatte. Nicht mehr versunken in seine Münzen, nicht mehr vertieft in seine Bücher, sondern den Blick in den Garten gerichtet, auf die kahlen Bäume und den Schnee, der allem, was er bedeckt, tiefen Frieden verleiht.

Der Antiquitätenhändler kommt am Nachmittag. Seine geübten Augen erfassen sofort den Wert der Möbel, der Gemälde, der kleinen kostbaren Dinge, die ein Leben füllten.

“Der Sekretär ist ein besonders schönes Stück”, sagt der Händler und klopft sachkundig gegen das dunkle Holz. “Diese alten Möbel haben oft Geheimfächer.” Er zögert. “Darf ich?” Martin nickt. Sekunden später klickt es leise, eine Schublade springt heraus. Der Händler zieht ein abgegriffenes Portemonnaie heraus.

Später, allein im leeren Haus, öffnet Martin das Portemonnaie . Eine Quittung fällt heraus. Zwei Mark für ein Eis, vor dreißig Jahren. Seine Kinderhandschrift auf der Rückseite: ‘Für den besten Papa der Welt.’

Er steht am Fenster, wo sein Vater in den letzten Tagen gesessen hatte. Draußen brechen die ersten Frühlingsblumen durch den Schnee.<


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