Sinai für Anfänger
Geschrieben von Jörg am .
“Garantiertes Gipfelerlebnis!” lockt der Reisekatalog, während er seine Wanderausrüstung ausbreitet. “Eine Stunde für ein Leben lang” – dieser schlichte Satz enthüllt den Kernkonflikt zwischen kurzfristigen spirituellen Hochgefühlen und lebenslangem Gehorsam.
“Du willst WAS?”
Sie sieht ihn ungläubig an. Er lächelt stolz, während er die neu gekaufte Wanderausrüstung auf dem Wohnzimmertisch ausbreitet.
“Auf den Sinai steigen und die Zehn Gebote laut vorlesen. Das wird mein spiritueller Höhepunkt.”
“Und die Zehn Gebote zu leben, hier und jetzt, wäre nicht genug?”
Er rollt seine Karte aus und markiert die Route.
“Das mache ich doch”, sagt er grinsend. “Aber stell dir vor, wie es sich anfühlen wird, dort oben zu stehen, wo Gott selbst gesprochen hat. So ein Erlebnis verändert dich für immer - das kann kein Alltag ersetzen.”
“Pfarrer Schmidt wird nie einen Berg besteigen. Aber seit vierzig Jahren lebt er die Gebote: besucht Kranke, hilft Obdachlosen, hat ein offenes Ohr für uns. Jeden Tag.”
Er faltet die Karte zusammen. “Ja, ja, sehr bewundernswert. Diese kleinen Gebote im Alltag. Aber ich suche mehr als grauen Gehorsam.” Der Reisekatalog fällt zu Boden. Auf der Titelseite strahlt ein Sonnenaufgang über dem Sinai.
“Wie lange wirst du auf dem Gipfel bleiben?”
“Vielleicht eine Stunde? Länger hält man es dort oben nicht aus.”
“Eine Stunde für ein Leben lang.”
“Was meinst du?” Irritiert schaut er sie an.
Sie greift nach einem Foto: seine Mutter, abgemagert, aber lächelnd. “Sie hat jeden Tag für dich gebetet, auch während ihrer Krankheit. Nicht für eine Stunde auf einem Berg, sondern viele Jahre lang, jeden Tag. Das war ihr Sinai.”
Nachdenklich bückt er sich nach dem Reisekatalog. Kurz hält er inne, dann wirft er ihn auf den Tisch.
Die Rückseite fällt nach oben.
Grell springt ihm das Werbeversprechen ins Auge: “GARANTIERTES GIPFELERLEBNIS! Ein spirituelles Hochgefühl, an das Sie sich viele Jahre lang erinnern werden, vielleicht sogar jeden Tag.”
Geistliche „Höhenflüge“ sind wunderbar und stärken unseren Glauben. Das geht schon mit dem Lobpreis am Sonntag in der Gemeinde los. Ich möchte ihn nicht missen.
Aber unser Alltag besteht nicht aus diesen besonderen Momenten.
Die Bibel macht deutlich, dass lebendiger Glaube sich im täglichen Gehorsam und in der Nachfolge zeigt, nicht im emotionalen Erleben.
Natürlich dürfen wir „Gipfelerlebnisse“ genießen, aber sie sind nicht das Ziel, sondern Ermutigung für den Weg. Sie sind wie Tankstellen:
Sie geben Kraft, aber das Leben findet auf der Straße statt.
Lebendiger Glaube zeigt sich nicht in außergewöhnlichen religiösen Erlebnissen, sondern im alltäglichen Gehorsam und in der praktischen Umsetzung von Gottes Geboten im täglichen Leben.
Wer also behauptet, mit Christus verbunden zu sein, soll auch so leben, wie Christus gelebt hat.
1. Johannes 2,6 (Neue evangelistische Übersetzung)