Ein kleiner Junge mit einem großen Problem
Dies ist die Geschichte von einem kleinen Jungen mit einem großen Problem.
Immer, wenn er wütend ist oder wenn er sich ärgert, dann lässt er das ungefiltert raus. Seine Familie ist mindestens einmal am Tag genervt. Und auch der Junge ist nicht glücklich, denn Wut und Ärger führen zu schlechter Laune und schlechte Laune kann einem den ganzen Tag verderben. Auch einem kleinen Jungen.
Eines Tages hat sein Vater eine Idee. Er gibt seinem Sohn eine Schachtel mit Nägeln und sagt: „Jedesmal, wenn du dich ärgerst oder wütend wirst, dann gehst du hinters Haus und schlägst einen Nagel in den Zaun.“
In der ersten Woche schlug der Junge 37 Nägel ein.
In der Woche darauf waren es noch 21.
Es wurden immer weniger.
Der Junge entdeckte, dass es einfacher ist, seine Wut zu zähmen und seinen Ärger zu überwinden als nach draussen zu gehen und einen Nagel in einen Zaun zu hämmern.
Dann kommt die Woche, in der er keinen Nagel benötigt …
Stolz geht er am Samstagabend zu seinem Vater. Der umarmt ihn und drückt ihn ganz fest an sich. Die beiden lachen miteinander und es ist seit langer Zeit das erste Mal, dass sie unbeschwert miteinander Zeit verbringen.
„Den Hammer brauche ich jetzt nicht mehr!“, jubelt der Junge, „und ein paar Nägel habe ich auch noch über …“
„Langsam, Junge“, erwidert der Vater. „Den Hammer brauchst du nicht mehr, das stimmt, aber ich habe etwas anderes für dich.“ Mit diesen Worten drückt er seinem Sohn eine Kneifzange in die Hand.
„Ab jetzt machst du es so: Jeden Tag, den du dich beherrschen kannst, gehst du abends zum Zaun und ziehst einen der Nägel heraus, die du eingeschlagen hast.“
Die Tage gehen dahin. Knapp drei Monate später kommt ein freudestrahlender Sohnemann zum Vater, eine Kneifzange in der einen und eine Schachtel mit krummen Nägeln in der anderen Hand. „Geschafft! Alle Nägel sind raus!“
Der Vater nimmt seinen Sohn an die Hand und geht gemeinsam mit ihm hinaus zum Zaun. „Das hast du gut gemacht, mein Sohn. Ich bin sehr stolz auf dich! Und wir haben es fast geschafft. Nur eine Sache noch: Siehst du die Löcher im Zaun? Überall da, wo du die Nägel eingeschlagen hast?“
Der Junge nickt.
„Dieser Zaun wird nie mehr derselbe sein, mein Sohn. Mit dem Zorn ist es genauso wie mit einem Nagel: Er hinterlässt eine Narbe. Wenn du im Zorn etwas sagst oder tust, dann tut dir das später leid, das weiß ich. Aber dennoch bleibt etwas zurück. Stell dir jemanden vor, der im Streit sein Messer in einen Mann steckt und es dann wieder herauszieht. Es spielt keine Rolle, wie oft er sagt, dass es ihm leidtut: Die Wunde ist immer noch da.“
Sein Sohn senkt den Blick zu Boden. Unsicher schaut er umher, schließlich fasst er sich ein Herz, schaut zu seinem Vater hoch und sagt: „Es tut mir leid, Papa. Kannst du mir für die Löcher verzeihen, die ich in dich gestochen habe?“
Der Vater schmunzelt: „Natürlich kann ich das. Du hast verstanden, wie mächtig Worte sein können.“
Der Junge nickt erleichtert.
„Es ist wichtig, mein Sohn, dass du das verstehst“, fährt der Vater fort, „dass es im Leben keinen wirklichen „Neuanfang“ gibt. Ich kann dir schnell und leicht vergeben, denn du bist mein Sohn und du hast nur ‚kleine Löcher‘ gemacht. Da ist Vergebung einfach.“
Der Vater nimmt den Jungen auf den Arm.
„Aber später, wenn du groß bist, dann kannst du riesengroße Löcher machen, wenn du dich dem Zorn einfach hingibst und deine Worte und Taten nicht bedenkst. Auch dann werden dir die Menschen verzeihen, aber die Narben gehen nie wieder ganz weg.“