Schwingende Zweifel: Die Physik des Glaubens

Es ist dieser eine Moment, in dem Theorie auf Realität trifft, Wissenschaft auf Glauben, Verstand auf Herz.

Die Luft im Klassenzimmer vibriert vor Spannung. Ein simples Pendel wird zum Prüfstein des Vertrauens. Doch letztlich geht es um diese eine entscheidende Frage, die am Ende des Lebens überhaupt noch eine Rolle spielt: "Ist mein Glaube lebendig oder ist er nur ein totes Gebilde?"

Die Viertklässler in dieser Geschichte können diese Frage beantworten. Doch wie ist es mit dir?

Die ersten Kinder werden unruhig, während das Pendel nur noch langsam hin- und herschwingt.

Tobias Thaler liebt dieses Experiment. Er liebt das ungläubige Staunen der Viertklässler, wenn sie die Exaktheit eines physikalischen Gesetzes so direkt beobachten können. Doch während er das Pendel-Experiment sonst nur im Sach-Unterrichts nutzt, probiert er es heute mal im Religionsunterricht.

Sanft stoppt er das Pendel mit seinem ausgestreckten Zeigefinger.

"Okay, Leute. Ihr habt gesehen, wie das Pendel schwingt. Und dass es dabei niemals höher kommt als der Ausgangspunkt, an dem ich es losgelassen habe. Die Schwerkraft lässt nicht mit sich verhandeln."

Ein Junge mit Sommersprossen, der seine Hand schon so lange in der Luft hält, dass sie zittert, platzt heraus: "Aber warum wird es langsamer?"

Ein Mädchen mit Zöpfen kichert. "Es hat einfach keinen Bock mehr! Genau wie du, wenn’s um die Hausaufgaben geht!" Kichern erfüllt den Raum, der Lehrer hebt kurz die Hand und zeigt dann auf das Pendel.

"Das ist eine interessante Frage, Elias. Wir kommen später noch darauf zurück. Doch zunächst möchte ich wissen: Traut sich einer von euch, das Pendel anzuheben und loszulassen?"

Spöttisches Kichern. "Warum sollten wir davor Angst haben?" Letztlich ist es ein kurzhaariger Junge mit feurig roten Haaren, der das Pendel so weit wie möglich anhebt, dramatisch innehält und es dann mit Elan freigibt. Majestätisch schwingt es hin und her – gelassen, ruhig, aber zugleich auch unnachgiebig.

"Seht ihr? Immer gleich. Das Pendel schwingt niemals höher als der Punkt, an dem es losgelassen wurde." Der Lehrer betrachtet seine Schüler. "Glaubt ihr das?"

Heftgis Nicken. "Wir haben es doch gesehen …"

Herr Thaler lächelt: "Seid ihr bereit für das nächste Experiment?"

Ziemlich genau in der Mitte des Klassenzimmers, direkt vor dem Lehrerpult, ist ein Eisenring an die Decke montiert. Kaum jemand hat ihn bisher bemerkt. Heute jedoch richten sich 29 aufgeregte Augenpaare auf ihn. Gespannt schauen sie zu, wie der Lehrer eine schwere Kugel mit einer Kette daran befestigt. Unruhig rutschen die Kinder auf ihren Stühlen hin und her.

"Jetzt brauchen wir einen Freiwilligen." Auffordernd schaut Herr Thaler seine Schüler an. "Wer hat Lust, an diesem neuen Experiment teilzunehmen?"

Es ist still im Klassenzimmer. Ein paar Kinder wagen einen flüchtigen Blick auf das schwere Eisen-Pendel, dann senken sie schnell wieder den Kopf. Schließlich meldet sich Elias, der Junge mit den Sommersprossen.

"Ah, Elias", sagt Herr Thaler und nickt zufrieden. "Komm her."

Elias schluckt hörbar, während er sich aus seinem Stuhl erhebt. Langsam geht er nach vorn Richtung Lehrerpult. Mit zittrigen Fingern greift er nach der schweren Kugel. "Du bist mutig, Elias, das finde ich gut. Jetzt stellst du dich bitte mit dem Gesicht zur Klasse. Dann hebst du die Kugel hoch, und zwar so weit, dass sie sich kurz unter deinem Kinn befindet."

Aufmerksam beobachtet der Lehrer, wie sein Schüler die Kugel mit beiden Händen anhebt. "Klasse. Geh jetzt so weit zurück, dass die Kette zwischen Kugel und Decke stramm ist."

Wieder gehorcht der Schüler. Und da steht er: Die Kugel in Höhe seines Adamsapfels, nur wenige Zentimeter vor dem Körper, die Arme schon leicht zitternd wegen des Gewichts.

"Und nun lass sie los!"

Die Kugel schwingt los, quer vor der Klasse in Richtung der Fenster, erreicht den höchsten Punkt, scheint einen Moment stillzustehen und kommt dann zurück. Kurz über dem Boden erreicht sie ihre höchste Geschwindigkeit und beginnt dann den Bogen hinauf zu der Stelle, an der sie losgelassen wurde.

Elias starrt ihr mit großen Augen entgegen. Herr Thaler steht hinter ihm, bereit, sofort einzugreifen. Als die Kugel nur noch einen halben Meter entfernt ist und nichts von ihrer Geschwindigkeit zu verlieren scheint, hält Elias es nicht mehr aus und springt zur Seite.

Das Klassenzimmer bricht in Gelächter aus. Elias grinst verlegen und schaut zu Boden.

"Dann muss ich wohl ran", sagt Herr Thaler mit einem Lächeln.

Er nimmt die Kugel in die Hand und hält sie wenige Zentimeter unter sein Kinn. Er wartet einen Moment, dann lässt er sie los. Die Kugel schwingt, dieses Mal noch schneller als bei Elias. Im Klassenzimmer ist es still. Kein Lachen, kein Flüstern. Nur das leise Surren der Neonröhren und das Schwirren der pendelnden Kugel.

Dann kommt die Kugel zurück, schwingt mit atemberaubender Geschwindigkeit kurz über den Boden und nähert sich dann in ihrer Aufwärtsbewegung dem Kinn des Lehrers. Mit großen Augen warten die Kinder, was passiert. Jetzt muss er doch was machen, oder?

Doch er macht nichts. Herr Thaler bleibt einfach stehen. Unbeweglich schaut er der Kugel entgegen. Und dann, scheinbar plötzlich, kommt die Kugel weniger Zentimeter unterhalb seines Kinns zur Ruhe. Kurz scheint sie stillzustehen, dann tritt sie ihre zweite Pendelbewegung an.

Stille.

Lehrer Thaler lächelt und nickt zufrieden. Er wartet, bis die Kugel ein zweites Mal geschwungen kommt, schnappt sie sich und legt sie zur Seite. Dann wendet er sich an die Klasse, die immer noch ungewöhnlich ruhig ist.

"Kinder, ihr habt das Pendel beobachtet. Und ihr habt gesehen, dass ihr euch einhundertprozentig darauf verlassen könnt: Das Pendel kann nicht höher schwingen als der Punkt, an dem es losgelassen wurde."

Die Kinder nicken.

"Wisst ihr noch, ihr habt das schon nach dem ersten Experiment geglaubt." Er macht eine Pause. "Das zweite Experiment mit der Eisenkugel habe ich gemacht, um euch etwas über den Glauben zu zeigen, schließlich haben wir heute Religion."

"Ihr glaubt alle an Gott, stimmt’s? Deswegen seid ihr hier im Religionsunterricht, oder?"

Die Kinder nicken.

"Und das letzte Mal hatten wir darüber gesprochen, was Glauben eigentlich bedeutet, nämlich dass man etwas für wahr hält, auch wenn man es nicht sehen kann."

Wieder nicken die Kinder.

"Heute habe ich euch gezeigt, dass Glaube nicht gleich Glaube ist. Es gibt einen toten und einen lebendigen Glauben. Könnt ihr euch vorstellen, was der Unterschied ist?"

Die Schüler schauen ihn an, ihre Augen groß und erwartungsvoll.

Herr Thaler lächelt. "Ein toter Glaube", erklärt er, "ist wie das Beobachten des Pendels. Wir können bestätigen, dass das Pendel nicht höher ausschlägt als bis zu dem Punkt, an dem es losgelassen wurde. Wir sehen es, wir verstehen es, wir akzeptieren es als Tatsache."

Er macht eine Pause und lässt seine Worte wirken.

"Aber ein lebendiger Glaube", fährt er fort, "geht noch einen Schritt weiter. Er ist nicht nur im Kopf, er ist auch im Herzen. Er glaubt nicht nur, wenn er am Rand steht und zusieht, er glaubt auch, wenn er mittendrin ist. Der lebendige Glaube vertraut. Es ist wie wenn ich mich vor das Pendel stelle und es loslasse. Ich kann unbeweglich stehen bleiben, weil mein Glaube an das physikalische Gesetz lebendig ist, weil ich darauf vertraue, dass das Pendel nicht höher kommen wird als der Punkt, an dem ich es losgelassen habe."

Die Kinder starren ihn an, ihre Augen weit aufgerissen.

"Versteht ihr den Unterschied?", fragt Herr Thaler. "Ein toter Glaube bestätigt nur, dass etwas wahr ist. Ein lebendiger Glaube vertraut darauf."

Er schaut nacheinander an: "Glauben bedeutet also nicht nur zu wissen, dass Gott existiert", fügt er hinzu. "Es bedeutet auch, ihm zu vertrauen und sein Leben nach seinen Geboten zu gestalten."

Die Kinder nicken langsam. Einige schauen nachdenklich, andere scheinen noch verwirrt zu sein.

"Also, wenn ich das richtig kapiert habe, ist lebendiger Glaube so ähnlich wie wenn ich ohne Schwimmflügel ins Wasser springe, weil ich mir sicher bin, dass ich schwimmen kann!"

Herr Thaler lacht.

"Das mit dem Schwimmen ist ein gutes Beispiel, Max. Wisst ihr, ihr könnt den anderen Kindern den ganzen Tag beim Schwimmen zuschauen, aber was wirklich schwimmen ist, das lernt ihr erst, wenn ihr es selbst versucht."

Lena meldet sich. "Es ist ein bisschen so wie bei meinem Papa. Er sagt immer, er glaubt daran, dass ich meine Prüfung im Rechnen gut mache. Aber er hilft mir auch beim Lernen, also hat er wirklich Glauben!"

Der Lehrer nickt: "Das stimmt, Lena! Aber was wäre, wenn er nicht an dich glauben würde?"

"Dann wär er so doof wie mein Bruder. Der sagt immer: "Wenn du durchfällst, ist es auch keine große Sache". Nur weil er selbst kein Rechnen kann."

Die Klasse lacht.

Herr Thaler klatscht in die Hände. "Wisst ihr was, Kinder, ich glaube, ihr habt den Unterschied verstanden. Und weil ich das glaube …", er macht eine Pause, "weil das mein lebendiger Glaube ist … ", wieder pausiert er, "deshalb gebe ich euch heute schon eine Viertelstunde eher frei!"

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